Der amerikanische Präsident hat nach seiner Vereidigung erklärt, für ihn gelte der Grundsatz „America first“. Es sei, so Trump weiter, „das Recht aller Nationen, die eigenen Interessen voranzustellen“. Wenn Sie das auch so sehen, wenn Sie der Meinung sind, auch Deutschland solle nach diesem Grundsatz handeln, dann richtet sich dieser Text an Sie.
Gibt es ein Recht auf nationalen Egoismus? Trump behauptet das, und vermutlich glaubt er es auch. Es stimmt aber nicht, und das möchte ich zeigen. Recht ist Vereinbarung. Recht ist das, was gilt, wenn man vereinbart hat, dass es gelten soll. Was gilt, wenn man nichts vereinbart hat, ist Macht, im schlimmeren Fall Gewalt, aber nicht Recht. Die Rede vom „Recht des Stärkeren“ führt in die Irre: der Stärkere hat die Macht, sich durchzusetzen, wenn keine Vereinbarungen über das Recht ihn daran hindern.
Ein Recht, die eigenen Interessen voranzustellen, kann es nur geben, wenn eine entsprechende Vereinbarung geschlossen wurde, die etwa lauten würde: „Ich darf tun, was mir nützt, und Du darfst machen, was Dir nützt.“ Wie weit trüge eine solche Vereinbarung? Nur bis zur ersten Kollision der Interessen. Dann hilft die Regel nicht mehr weiter; spätestens dann wird deutlich, daß es gar keine Regel ist, weil sie die möglichen, wahrscheinlichen, unvermeidlichen Konflikte eben gerade nicht regelt.
Es gibt den Egoismus, er ist sowieso da, darauf brauchen wir uns nicht zu einigen. Was wir brauchen, ist ein Recht, das den Egoismus regelt, und das heißt: ihn zugunsten eines Ausgleichs der Interessen begrenzt. Politiker nennen es das „wohlverstandene Eigeninteresse“, wenn die Beteiligten in Anerkennung des gemeinsamen Interesses an der Regelung aktueller oder möglicher künftiger Konflikte vereinbaren, was gelten soll, und dabei Abstriche vom individuellen Interesse machen.
Recht gibt es nur, wenn alle gemeinsam ein Interesse daran haben, dass es Recht gibt. Allerdings gibt es, wie wir wissen, auch ungerechtes oder unfaires Recht. Mächtige tarnen ihre Macht als Recht, weil das die Durchsetzung ihrer Interessen erleichtert, und dabei kommen Vereinbarungen heraus, die im Klartext lauten würden: „Ich darf tun, was mir nützt, Du aber darfst nicht tun, was Dir nützen würde.“
Wenn Trump nun vom „Recht aller Nationen“ spricht, dann geht er wohl von deren Gleichheit aus: allen steht das Recht auf Egoismus zu. Aber dieses Recht gibt es nicht. Es gibt den Egoismus: ein Faktum, eine Tatsache. Und es gibt das Recht: eine Norm, eine Vereinbarung, was gelten soll. Ein Recht auf Egoismus hieße: „Wenn ich es schaffe, den ganzen Kuchen zu bekommen, dann steht er mir auch zu.“
Können Sie sich vorstellen, dass jemand mit Ihnen eine solche Vereinbarung trifft? Vielleicht jemand, der stärker ist als Sie, aber dann würden Sie nicht zustimmen – es sei denn, Sie werden dazu gezwungen. Zwischen Gleichen (Personen wie Staaten) kann es keine solche Norm geben, weil niemand eine solche Vereinbarung treffen würde.
Wenn es keine Vereinbarung gibt, die den Egoismus für Recht erklärt, ist er dann Unrecht? Nein, Egoismus ist einfach da. Er ist eine wichtige soziale Tatsache mit hohem Konfliktpotential, und deshalb brauchen wir Regelungen, die ihn begrenzen. Sie dürfen egoistisch sein, das ist nicht verboten. Sie dürfen Ihre Interessen für wichtiger halten als die anderer und nach dieser Überzeugung handeln. Sie können wollen, dass Ihr Staat nach dieser Überzeugung handelt; auch das ist nicht verboten.
All das können Sie tun, es steht Ihnen frei. Es steht Ihnen aber nicht zu, dabei ein gutes Gewissen zu haben, weil Sie sich im Recht fühlen; ein Recht auf Egoismus gibt es nicht. Wenn Ihr Land egoistisch handeln soll, dann, weil Sie das wollen. Das ist die ganze Begründung. Ich hoffe, dass Ihnen das nicht reicht. Ich hoffe, dass Ihnen das Recht etwas bedeutet; unser aller friedliches Zusammenleben hängt daran. Eben darum ist es wichtig, Rechte, die es gibt, zu unterscheiden von solchen, von denen das bloß behauptet wird.
Mit freundlichen Grüßen,
Rainer Krems
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