SPD Hohen Neuendorf

Wie die DDR ihre Rückkehrer zermürbte

Veröffentlicht am 20.05.2009 in Allgemein

Der spätere Brandenburger Innenminister Alwin Ziel war einer von ihnen

Märkische Allgemeine vom 20. Mai 2009
Am Morgen hatte noch sein Bruder angerufen, aus Kanada. Er hatte gewarnt: „Mach das nicht. Die haben dich angelogen. Die werden dich behandeln, wie du dir das nicht vorstellen kannst.“ Alwin Ziel aber stieg an diesem Tag des Jahres 1988 in Hamburg trotzdem in sein Auto, fuhr auf die Autobahn Richtung Berlin. Richtung DDR, zurück in das Land, das er erst vor ein paar Monaten verlassen hatte. „Durch diese Grenzanlagen fährst du nicht noch mal“, hatte er sich geschworen, als er zum Geburtstag der Nichte ausgereist war und sich entschied, im Westen zu bleiben. Die Familie hatte bereits einen Ausreiseantrag gestellt und sollte bald nachkommen.

Doch die Stasi nahm die Familie als Geisel. Dauernde Verhöre zermürbten Ziels Ehefrau. „Für die Kinder werden wir schon sorgen“, bekommt sie zu hören, „die kommen in einem guten Heim unter.“ Zehn und zwölf Jahre alt sind die beiden Jungs. Die Mutter kollabiert unter dem Druck, landet im Krankenhaus. Alwin Ziel will zurück, will seiner Familie beistehen. Im Westen hatte es gut ausgesehen für den Juristen. „Aber ich wollte keine Existenz auf den Trümmern meiner Familie aufbauen“, sagt Ziel beim Gespräch in seinem Abgeordnetenbüro im Potsdamer Landtag. Seit 1990 ist er Abgeordneter für die SPD, neun Jahre war er Innenminister, drei Jahre Sozialminister. 2002 trat der heute 68-Jährige zurück.

Spätestens seit er 1987 zum Geburtstag seines älteren Bruders nach Kanada fliegen durfte, der bereits kurz nach dem Krieg ausgewandert war, hatte Ziel innerlich mit der DDR abgeschlossen. „Da vergleicht man eben. Es ging nicht um das Materielle, es ging um den Unterschied, dass seine Kinder in Freiheit aufwuchsen und unsere nicht.“ Wegen der Kinder fährt er aber nun in die andere Richtung. Ihm wird Straffreiheit zugesichert, er glaubt daran. Bis sein Wagen am Grenzübergang von Soldaten mit Kalaschnikows umstellt wird. Bis er im Konvoi nach Zepernick (Barnim) gebracht wird. Im Ortsteil unterhielt die DDR ihr „Zentrales Aufnahmeheim“ (ZAH). In den letzten fünf Jahren der DDR durchliefen 3600 Menschen das Lager. 1400 waren Rückkehrer wie Ziel, 1600 kamen aus der BRD, 600 aus dem Ausland.

Röntgental, ein sprechender Name: Hier wurden die Übersiedler verhört und durchleuchtet. Einem misstrauischen Staat wie der DDR waren schon jene nicht geheuer, die in dieses Land übersiedeln wollten, die es auch noch nach dem Mauerbau für das bessere Deutschland hielten. Rückkehrer waren doppelt verdächtig, egal, ob sie im Westen gescheitert waren, ob sie aus privaten Gründen wiederkamen oder gezwungenermaßen wie Alwin Ziel. „Mit Blumen empfängt man Sie nicht“, das war der Standardsatz, den die Ständige Vertretung der DDR in Bonn bei Anfragen von Übersiedlern parat hatte. Das haben die Filmemacher Bettina Renner und Ulrich Stoll von ihren Gesprächspartnern erfahren. Ihre Dokumentation „Einmal Freiheit und zurück“ läuft heute auf Arte.

Der Satz von den Blumen war eine Untertreibung. „Das war wie Knast“, sagt Ziel über seine Zeit in Röntgental. „Die ganze Mühle, die da existierte, war so aufgebaut, dass Sie klein gemacht werden sollten. Sie sollten ihr Selbstbewusstsein verlieren“, erklärt er im Rückblick. „Jetzt zeigen wir euch mal, wo eure Grenzen sind“, das sei die unterschwellige Drohung gewesen.

Bettina Renners und Ulrich Stolls Doku erzählt die Geschichte der Röntgental-Insassen sehr eindringlich, allerdings leider mit unnötigen nachgestellten Szenen und in stellenweise allzu dramatischem Tonfall. Doch die Geschichte Röntgentals (heute befinden sich Seniorenheime auf dem Gelände) ist eine zwiespältige: Offiziell waren die Insassen nicht eingesperrt, das Leben außerhalb der regelmäßigen Verhöre war zumindest von der Verpflegung besser als im Knast. Grillabende und Dia-Vorträge über die „neue Heimat DDR“ sollten den Lagerkoller verhindern helfen.

Einige aber trieben Verhöre, Unsicherheit und die Einsicht, dass das Gerede von der versprochenen Straffreiheit gelogen war, sogar in den Tod. Horst Geißler, ein Ingenieur aus Jena, stürzte sich nach dem Verhör aus dem Fenster. „Wir gingen gerade vom Essen weg“, sagt Ziel im Film, „da rief jemand: Da liegt einer auf dem Asphalt!“

Um den Vorfall zu vertuschen, wird den Heim-Insassen schnelle Entlassung gegen Stillschweigen angeboten. Auch Ziel kommt so frei. „Die haben das Heim leerlaufen lassen und dann wieder von vorne angefangen“, glaubt er. Nach der Wende musste er sich rechtfertigen, warum er schon nach wenigen Wochen aus Röntgental frei kam. Gerüchte um eine angebliche Stasi- oder sogar KGB-Mitarbeit machten die Runde. Die Gauck-Behörde räumte diesen Verdacht aus. Nun ist klar: Es lag an der Vertuschung des Suizids.

Die Vorgänge in Röntgental sind bis heute weitgehend unbekannt – vielleicht, weil allein die Idee absurd erscheint, dass es überhaupt eine Einwanderung in den eingemauerten Staat gab. Alwin Ziels Erinnerungen und der Film von Bettina Renner und Ulrich Stoll bringen Licht ins Dunkel.

„Einmal Freiheit und zurück“, 21 Uhr, Arte. (Von Jan Sternberg)

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