SPD Hohen Neuendorf

Deine Stadt fürs Leben. Für alle. Für morgen. Jetzt.

"Eine Parteigründung im Leben reicht"

Veröffentlicht am 23.07.2009 in Allgemein

Foto: Stephan Hilsberg

Mitbegründer der Ost-SPD Stephan Hilsberg im MAZ-Interview

MAZ, 23. Juli 2009

Wie alles begann: Stephan Hilsberg gehörte zu den Gründern der Ost-SPD. Nun verlässt er den Bundestag. Mit ihm sprach Ralf Schuler.

MAZ: Herr Hilsberg, wann haben Sie zum ersten Mal von der Idee erfahren, eine SPD in der DDR zu gründen?

Stephan Hilsberg: Gelesen habe ich das Konzept zum ersten Mal Ende August 1989. Es lag auf dem Schreibtisch meines Vaters. Er war Pfarrer in der Gemeinde der Golgatha-Kirche in Berlin. Dieses Papier hat mich vom ersten Augenblick an fasziniert und elektrisiert. Die Gemeinde hatte ein Menschenrechtsseminar mit Richard Schröder und Markus Meckel abgehalten, und auf diesem Seminar am 26. August 1989 ist die Idee von der Ost-SPD zum ersten Mal öffentlich vorgestellt worden. Die Gesprächskreise, in denen sich das entwickelt hatte, gab es seit Mitte der 80er Jahre und bestanden aus Köpfen, die in Sphären hineindachten, die sonst tabu waren. Auch Martin Gutzeit war dabei, allerdings auch etliche Stasi-Leute, wie etwa Ibrahim Böhme.

War das „Undenkbare“ einer Parteigründung für Sie so faszinierend oder das Sozialdemokratische? „Sozialdemokratismus“ galt ja unter Alt-Genossen als Tod-Sünde?

Hilsberg: Es war beides. Es gibt so Schlüsselmomente im Leben, und dieses Papier war für mich einer. Es war das erste Mal, das mir ein Schriftstück aus dieser oppositionellen Szene vor die Nase geflattert ist, ein glasklares Konzept, von dem ich dachte: So geht es. Da stimmten die Ziele, da stimmten die Mittel – so konnte es funktionieren. Es war eine komplette Kampfansage an die SED und genau das, was wir in der DDR brauchten. Wie gefährlich all das für die herrschende Partei war, ist mir in dem ersten Moment wohl noch nicht klar gewesen, aber die Grundrechte, parlamentarische Demokratie, Pluralität, Wiederherstellung der alten Länder – all das war einfach plausibel.

Aber es muss Ihnen doch bald klargeworden sein, dass die Gründung einer unabhängigen Partei auf das Ende der DDR und der SED hinauslaufen musste. Schließlich waren Land und Partei nicht auf pluralen Wettbewerb der Ideen, sondern auf die Diktatur der Partei der Arbeiterklasse ausgerichtet.

Hilsberg: Das wurde mir sehr wohl klar. Genau das wollte ich. Ich habe mich nie mit dieser seltsamen Geschichtssicht identifiziert, wonach eine Partei vorwegschreitet und bis zum Erreichen der lichten Zukunft praktischerweise erst einmal alle möglichen Rechte beschränkt. Überhaupt habe ich mich mit der DDR nie wirklich identifiziert. Vielleicht mit einzelnen Teilaspekten, aber die Grundanlage konnte ich nicht akzeptieren. Außerdem hatte ich ohnehin das Gefühl, dass es mit der DDR nicht mehr lange so weitergehen würde. Und als Erich Honecker erklärte, die Mauer werde auch in 50 Jahren noch da sein, war mir klar, dass er selbst den Niedergang der DDR beschleunigte.

Die dann im Oktober 1989 in Schwante gegründete SDP wollte ausdrücklich kein Ableger der West-SPD sein. Warum? Um nicht als Feindarbeiter angreifbar zu sein, oder aus inhaltlichen Gründen?

Hilsberg: Wir haben uns einfach nicht über die West-SPD definiert. Aber wir haben uns sofort in die sozialdemokratischen Traditionen Europas gestellt und mit der Gründung einen Aufnahmeantrag in die Sozialistische Internationale gestellt. Wir sahen unsere Parteigründung als wichtigen Schritt zur Demokratisierung der DDR, und das war unser Hauptziel. Wir hätten ohnehin niemanden gefragt, ob er die Gründung gestattet.

Welche Rolle spielte denn das Vorbild der West-SPD? Deren Kurs war ja eher auf Kooperation mit der DDR als auf deren Ende ausgerichtet.

Hilsberg: Ich war da immer etwas hin und her gerissen. Einerseits hielt ich einige der SPD-Leute für etwas naiv, andererseits sah ich aber auch regelrechte Verharmlosung der DDR bis hin zur ideologischen Anerkennung im SED-SPD-Papier. Die Augen vor dem Unrecht zu schließen, habe ich immer für einen großen Fehler gehalten. Mit der Zeit wuchs in der Tat bei mir das Gefühl, dass der Westen den Osten vergisst. Die haben zwar immer große Reden gehalten, aber getan haben sie nicht viel. Dass wir das selbst in die Hand nehmen müssen, wurde ziemlich bald klar.

Ist die Partei, in der Sie heute sind, diejenige, die Sie damals gründen wollten?

Hilsberg: Ja. Es ist die SPD, es ist eine Partei mit einem nach wie vor sehr modernen Politikkonzept. Ich kann aber auch nicht verhehlen, dass es in meiner Partei auch Tendenzen gibt, die mir sehr fremd sind, und diese Tendenzen haben zugenommen.

Welche Tendenzen meinen Sie?

Hilsberg: Das ist die mangelhafte Auseinandersetzung mit dem totalitären Erbe der DDR, das ein gehöriges Stück weit in der Linkspartei weiterlebt. Es ist die desaströse Leugnung der Gewissensfreiheit freigewählter Abgeordneter. Ich spüre nur wenig Zukunftsoptimismus, zu dem wir allen Grund hätten. Und häufig überwiegt die Angst vor dem Verlust des Alten, statt der Freude am Neuen.

Nun hat sich die SED-PDS-Linke mit Marktwirtschaft und Demokratie in ihrem Programm inzwischen angefreundet – ist die Linke nicht auch eine sozialdemokratische Partei? Der demokratische Sozialismus steht immerhin bei der SPD auch im Programm.

Hilsberg: Auf den Begriff des „demokratischen Sozialismus“ könnte ich gut verzichten. Mir würde der Begriff „soziale Demokratie“ reichen. Willy Brandt und Helmut Schmidt liegen auf einer ganz ähnlichen Linie. Ich dachte, durch die Entwicklung 1989/90 hätten sich bestimmte ideologische Ladenhüter erledigt. Der „demokratische Sozialismus“ war als Begriff wichtig zur Abgrenzung von der kommunistischen Bewegung. Die marxistischen Traditionen, die es in der SPD ja gegeben hat, haben sich in meinen Augen erledigt. Dass er trotzdem weiter bemüht wird, zeigt mir, dass die SPD ihre eigene Ideologie-Geschichte noch nicht ganz aufgearbeitet hat. Die Linkspartei hat sich – gezwungenermaßen – sehr pragmatisch verhalten und auf radikale Ansätze verzichtet. Wenn sie wirklich Realpolitik für die Menschen machen will, bleibt der Linken nichts anderes übrig, als unseren sozialdemokratischen Ansatz nachzuahmen, was sie ja auch tut. Allerdings schießt sie dabei entsprechend ihrer Geschichte oft populistisch übers Ziel hinaus und versucht es mit längst gescheiterten Ansätzen aus der DDR, die auch heute zum Ruin der gesellschaftlichen Substanz führen würden.

Sie waren immer ein Gegner des sogenannten Berghofer-Plans, mit einer größeren Zahl von SEDisten in die SPD einzutreten. Wenn man sich ansieht, wie geräuschlos die Blockparteien in ihren West-Pendants aufgegangen sind, wäre es heute nicht komfortabler, wenn die SPD die PDS einfach geschluckt hätte?

Hilsberg: Als das aktuell war, im Januar 1990, wäre das für uns schlichtweg Selbstmord gewesen. Außerhalb der SPD hätte man das nicht verstanden, innerhalb der SPD hätte man es als Versuch der Unterwanderung gesehen und die Union hätte draufgeschlagen. Ich habe auch den raschen demokratischen Ritterschlag der Ost-CDU nie für ein Vorbild gehalten, sondern eher für eine schwere Belastung des Demokratisierungsprozesses. Man hat ja auch gesehen, dass die CDU in den neuen Ländern keineswegs ein politisches Kreativzentrum geworden ist in all den Jahren. Kurt Biedenkopf war eine große Ausnahme, und der kam aus dem Westen. Und dann gibt es noch etwas: Bei allem taktischen Kalkül darf man das Verlangen der Menschen nach politischer Redlichkeit nicht außer Acht lassen.

Hätte die SPD der Linkspartei das Wasser abgraben können, wenn sie im Osten eigenständig geblieben wäre?

Hilsberg: Nein. Sie hätte auch gar nicht eigenständig bleiben können. Die Partei, die sich als erste zur deutschen Einheit bekannt hatte, hätte unmöglich selbst weiter die Teilung praktizieren können. Die Linkspartei hätten wir damit auch nicht bekämpfen können. Der einzige Weg dazu wäre eine noch offensivere Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit und ihren Konzepten gewesen. So populär die Ansätze der Linkspartei auch gewesen sein mögen, so sehr sie vielleicht auch die ostdeutsche Seele gestreichelt haben mögen, so wenig zukunftsfähig sind sie doch geblieben.

Dann muss es Sie doch frustrieren, dass Ihr Ex-Vorsitzender mit diesen Konzepten im Westen für die Linke expandiert.

Hilsberg: Die West-Ausdehnung der Linken ist in meinen Augen auch eine Folge der mangelnden Auseinandersetzung mit dieser Partei. Die SPD war nicht wirklich in der Lage, eine strategische Linie im Umgang mit der Linkspartei zu entwickeln. Die Dresdner Erklärung (zur Nichtkooperation – d. R.) war ein taktisches Moment, ersetzt aber keine Strategie. Was Lafontaine betrifft, so muss man anerkennen, dass er durchaus zu den Erfolgen der SPD beigetragen hat, auch wenn ich mich mit seinen konkreten Zielen oft nicht identifizieren konnte. In seinem Denken hat er die deutsche Einheit abgelehnt und die Moderne als gesellschaftliche Konzeption nie wirklich vollzogen. Insofern ist er in seiner jetzigen Position vielleicht sogar besser aufgehoben als bei uns.

Dauerhaft erfolgreich ist die SPD im Osten nur in Brandenburg, wo sie seit der Wende einen Kurs gefahren ist, der die DDR-Herkunft stets einschloss. Ist das das Rezept?

Hilsberg: Zumindest zahlenmäßig ist die Linke ja auch in Brandenburg nicht wirklich schwach. Aber ich glaube auch nicht, dass der Kurs, wie ihn zum Beispiel Regine Hildebrandt verkörpert hat, auf Dauer erfolgreich ist. Sie hat auf vielen Feldern die alten Sehnsüchte nach Sicherheit und staatlicher Rundum-Versorgung bedient – das war ein Grund, weshalb sie so populär war. Realistisch war vieles davon nicht. Zur brandenburgischen SPD muss man auch sagen, dass sie mit der Machtfrage sehr geschickt umgegangen ist. Das ist eine Leistung, die ich durchaus anerkenne. Aber was zu einer lebendigen, sozialdemokratischen Volkspartei dazugehört, die umfassende innere Meinungsbildung, eine kreative Streitkultur, fehlt völlig. Wir haben faktisch keine konzeptionelle Arbeit. Wir fechten nicht um Konzepte, wir haben eine sehr stromlinienförmige Partei, die über kleinere Details diskutiert aber die großen gesellschaftlichen Entwürfe darüber vergisst.

Wenn Sie heute noch einmal eine Partei gründen könnten – wäre es die SPD?

Hilsberg: Ich finde es nach wie vor richtig, was wir damals gemacht haben. Es war der richtige Zeitpunkt, es war die richtige Idee, und es war einigermaßen erfolgreich. Ansonsten: Eine Parteigründung im Leben reicht mir völlig.

Von der SDP zur SPD
Das märkische Müncheberg ist der Geburtsort von Stephan Hilsberg (Jahrgang 1956). Der studierte Informatiker engagierte sich in der DDR ab 1988 in kirchlichen Friedenskreisen. Im Oktober 1989 gehörte Hilsberg in Schwante zu den Gründern der Sozialdemokratischen Partei in der DDR (SDP) und agierte als deren erster Sprecher. Im Jahr 1990 leitete er von Februar bis Juli die Geschäfte der Ost-SPD und war bis zum 2. Oktober Mitglied der Volkskammer der DDR.

Seit dem 3. Oktober 1990 sitzt Hilsberg für die SPD im Bundestag. 2000 bis 2002 war er parlamentarischer Staatssekretär im Verkehrsministerium, 2005 bis 2007 stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender. Der Familienvater hat vier Kinder und ist verheiratet. mei

Termine

Alle Termine öffnen.

06.05.2024, 19:00 Uhr - 21:00 Uhr
Fraktionssitzung

18.05.2024, 10:30 Uhr
Fahrradumzug

25.05.2024, 10:30 Uhr
Fahrradumzug

Unterstützer gesucht

Kommunalpolitik ist eine Sache des Ehrenamts. Das tun wir von Herzen für das Wohl unserer vier Ortsteile. Wir freuen uns dabei über Unterstützung – sowohl über Dich in Person als auch durch Deine Spende - denn auch die ehrenamtliche politische Arbeit kostet Geld.


Folgt uns auch auf Facebook und Instagram: